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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber hat diesmal vielleicht himmlische Eingebungen zu bieten - auch wenn andere darauf noch immer warten.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nicht alle Leser mögen den Begriff Bobo. Dabei ist er schlicht und erinnert an berühmte Vorbilder, etwa an die Hobos, die auf den Inseln vor Seattle vor 100 Jahren ein freies Leben führten. Wie wäre es dann wissenschaftlicher mit dem "Homo Davosiensis"? So nennt der Soziologe Richard Sennett unsere Bobos, nach dem Schweizer Luftkurort Davos, in dem das so genannte Weltwirtschaftsforum seit 1970 tagt. Zum Forum haben nur Firmenbosse Zutritt, deren Unternehmen mindestens einen Umsatz von einer Milliarde Dollar jährlich nachweisen können. Nun sollen Bobos in diesen erlauchten Kreis aufgenommen werden, um dem Forum mehr "Internet-Relevanz" zu bringen. Aushilfsweise wird dabei nicht der Umsatz, sondern die Börsenkapitalisierung als Maßstab genommen. Erstmals zudem soll das Forum, auf dem Bill Gates wie Larry Ellison sich Streicheleinheiten von Bill Clinton und "Schörd Schröder" abholen, dekommerzialisiert werden. "Relevante prozessorientierte proaktive Nichtregierungsorganisationen" sollen geladen werden, erfahren wir aus einem Papier, das letzte Woche veröffentlicht wurde. Als solche hat man die internationalen Gewerkschaftsorganisationen ausgespäht. Sie sollen helfen, den "Ungeist von Seattle" zu bannen – die Erinnerungen an die Demonstrationen anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels stecken den Wirtschaftsführern noch in den Knochen. Aus Angst vor dieser Form von Protestbewegung wurde zum letzten Davoser Forum die Hochschweiz in einen Sicherheitstrakt verwandelt. Das will man jetzt billiger haben.

*** Billig ist dagegen noch immer nicht das so genannte G8-Treffen zu haben. Ursprünglich als G7-Treffen der führenden Wirtschaftsnationen der westlichen Welt initiiert, wird es nun als Treffen der "führenden westlichen Wirtschaftsnationen und Russlands" eben unter dem Rubrum G8 geführt. Da darf man sich nun selbst überlegen, ob Russland nur nicht "westlich" ist, oder ob es nicht zu den "führenden Wirtschaftsnationen" zählt. Wie auch immer: Billig ist, wie gesagt, so ein Treffen nicht zu haben. Immerhin 22.000 Polizisten schirmen die Regierungschefs ab – nicht aber etwa, weil die Bobos den G8-Gipfel stürmen würden, wohl eher wegen der Leute, derentwegen in Davos nun auch die Gewerkschaften vertreten sein sollen. Dabei meinen es die Regierungschefs doch nur gut: Sogar eine DOT Force soll es geben – nicht aber, um die Dot.Coms zu stärken, nein, die Expertengruppe soll endlich den Entwicklungsländern und der so genannten Dritten Welt das Internet näher bringen. Japan zeigt sich auch gleich spendabel und stellt 30 Milliarden Mark in Aussicht, um Internet-Zugang und Internet-Ökonomie in den Entwicklungsländern zu fördern. Da geht so manchem Firmenchef, sei er nun von Cisco oder Nortel, Intel oder Microsoft, das Herz über. Die Entwicklungsländer werden entschuldet, um dann gleich neue Kredite für die Internet-Ökonomie aufnehmen zu müssen – die 30 Milliarden (sic!) aus Japan werden wohl kaum verschenkt. So schafft das Internet jedenfalls nicht nur eine neue Ökonomie, sondern auch neue Märkte. Ob die Menschen in Äthiopien von einem Cisco-Router satt werden oder die Nordkoreaner nach dem Einzug von Pentium III und Internet Explorer etwas anderes als Jubelstatisten für die "großen Führer" darstellen, dürfte da eher unter "ferner liefen" besprochen werden. So schließt sich der Kreis: In Davos diskutieren die Gewerkschaften in Zukunft über die Verteilung der Gewinne mit, die die Wirtschaftslenker der New Economy mit den Krediten des G8-Gipfels an die Entwicklungsländer erwirtschaften.

*** Wenns um Politik und globale Märkte geht, wird's ernst, todernst teilweise. Dabei kann Politik doch auch Spaß machen: "Entfesseln Sie uns!" Nein, das war nicht die Forderung einer Delegation aus Davos an die Dominas des G8-Treffens. Madeleine Albright war nämlich gar nicht da. Vielmehr trumpfte einer unserer hiesigen Bobos in Bayern auf. "Entfesseln Sie uns", das war die Forderung von Maximilian Cartellieri, seines Zeichens Finanzchef des Internet-Startups Ciao.com, an die bayerische Staatsregierung. Und er meinte damit, die Startups müssten von den Fesseln der aktuellen Gesetzgebung befreit werden. Nur zu: Durch die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe "Entfesselung", die laut der Pressemitteilung im Rahmen des bayerischen Internet-Beirats tagte, erfüllen die Männer und Frauen von Ciao.com ihre "Bürgerpflicht". Das macht die bayerische Staatsregierung aber schon lange: Schließlich entbindet sie die Dot.coms mit ihrer Blue Card von lästigen Pflichten des Arbeitsrechts. Da dürften so ein paar störende steuerrechtliche Bestimmungen doch für die Neue Ökonomie auch schnell abgeschafft sein. Wenn so ein smarter Bobo auftaucht, ist mit dem "Münchner im Himmel" eben kein Staat mehr zu machen – aber die bayerische Staatsregierung wartet daher wohl auch immer noch auf die himmlischen Eingebungen.

*** Aber Politiker warten nicht immer nur auf himmlische Eingebungen, manches Mal haben sie auch selbst Ideen. Statt rotem Telefon nun E-Mail: Eine revolutionäre Idee. "You've got Mail": Lieber Herr Clinton, leider musste ich gerade meine Atomraketen starten, herzlichst, Ihr Wladimir Putin. Statt Geturtel zwischen Tom Hanks und Meg Ryan knallharte elektronische Politik. Natürlich waren alle Regierungschefs auf dem G8-Treffen von dem Vorschlag Russlands begeistert, E-Mail als Kommunikationsmittel einzusetzen, sah sich der deutsche Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye veranlasst, gegenüber den anwesenden Journalisten zu betonen. Da bekommt der jüngst um die Welt gegangene Liebesbrief doch ganz neue Dimensionen.

*** Es gibt jedoch nicht nur die Politik, sondern auch die, die darüber berichten. Darüber, und über die Internet-Ökonomie, die Firmen, die hinter ihr stecken, und die Produkte, die diese Firmen an den Mann und die Frau bringen wollen. Zwei der bekannteren aus dieser Branche, eigentlich selbst Teil der Internet-Ökonomie, schmeißen die Brocken nun nicht hin, sondern zusammen. CNet kauft ZDNet: Eigentlich als Fernsehsender mit angeschlossener Internet-Abteilung geplant, ist CNet inzwischen zu einer der größeren US-Nachrichtenseiten im Internet mit angeschlossenen Fernsehstudios mutiert, die für den Web-Auftritt Werbung machen. ZDNet wiederum ist ein Online-Medium für alles, was Computer betrifft, und eigentlich das einzige, was von dem einst ruhmreichen Verlag Ziff-Davis noch halbwegs profitabel operiert. Nachgesagt wurde denn Publikationen von Ziff-Davis, so auch deren Internet-Auftritt, aber von amerikanischen Journalisten schon immer eine gewisse Microsoft-Freundlichkeit – so zumindest formulierten es die höflicheren unter den US-Kollegen. CNet dagegen attestieren die meisten amerikanischen Journalisten eine für US-Verhältnisse große Unabhängigkeit. Allerdings geriet CNet selbst bei Nutzern des Dienstes in den letzten Monaten immer mehr in die Kritik, da durch die Expansion der Muttergesellschaft in immer neue Bereiche die Trennung zwischen journalistischem Inhalt und Verkaufsinteressen bei den verzweigten E-Commerce-Aktivitäten der Firma nicht immer deutlich blieb. Ein Zusammenschluss von CNet und ZDNet bedeutet jedenfalls für die Internet-Surfer eine Möglichkeit weniger, unterschiedliche Meldungen und Meinungen gegeneinander abzuwägen – so jedenfalls war es in den Diskussionsforen von CNet zu lesen. Warum aber CNet überhaupt den Online-Dienst des ehemaligen Computerzeitungsverlags für geschlagene 1,6 Milliarden US-Dollar kaufte, scheint vielen US-Kollegen schleierhaft, denn eine ernsthafte Konkurrenz stellte ZDNet für CNet eigentlich nicht dar. Außerhalb der USA stellt sich der Deal aber als gar nicht so dumm heraus: Schließlich ist ZDNet in einigen außeramerikanischen Ländern vertreten, unter anderem mit ZDNet.de in Deutschland. So fällt CNet mit einem Schlag das in den Schoß, was die Firma schon lange ohne große Fortune selbst aufzubauen versuchte: Präsenz in möglichst vielen europäischen Ländern. CNet entwickelt sich mit der Übernahme von ZDNet zu einer Art Kombination aus Murdoch und Kirch bei den Internet-Diensten. Glücklicherweise ist der Heise-Verlag nicht auch noch zu kaufen – sonst müsste ich mir glatt einen anderen Brötchengeber suchen.

*** Wo wir schon bei Nachrichten, Zeitungen und Brötchengebern sind: Wer den Niedergang des Stern in den letzten Monaten verfolgt hat, hegt wenig Zukunftshoffnung für die erste deutsche Internet-Tageszeitung. Denn ausgerechnet Michael Maier, der von der Berliner Zeitung als Chefredakteur zu eben diesem Stern wechselte, wird deren journalistischer Leiter und Geschäftsführer. Dass beide Positionen in einer Person vereint sind, zeugt zum einen nicht gerade von viel Gespür dafür, dass bei Nachrichten Geschäftsinteresse und Berichterstattung nicht zusammengehören sollten – es hat seinen Grund, dass bei normalen Tageszeitungen eine scharfe Trennung zwischen Anzeigenabteilung und Redaktion existiert. Viel skeptischer stimmt aber viele Beobachter, dass Meier gerade beim Stern geschasst wurde, weil seine Konzepte wohl nicht ausreichten, den Niedergang des Blatts aufzuhalten. Dafür soll er jetzt bei der Netzeitung für Erfolg sorgen, denn immerhin war "seine bisherige Arbeit im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich stets an höchsten publizistischen Ansprüchen orientiert", wie es bei der neugegründeten Berliner Firma heißt. Mal schauen, was dabei im Internet herauskommt – bis zum Herbst 2000 hat Meier noch Zeit, seine publizistischen Ansprüche an die Position des Geschäftsführers und an den E-Commerce anzupassen.

Was wird.

Das war jetzt aber einmal eine bitterernste Wochenschau. Vielleicht liegt es daran, dass alle Welt in den Süden strebt, während ich hier in der norddeutschen Tiefebene sitze bei verregnetem, bitterkaltem Wetter und an den Spänen bastle, die das Hobeln an all dem PR- und Nachrichtenmüll der letzten Woche hinterlassen hat. Ich gelobe Besserung – auch wenn die Nachrichten nicht besser werden. Oder werden sie es doch? Wohl schon, wenn man einer dieser wildgewordenen PR-Agenturen glauben darf. Denn am 1. August besucht der hessische Ministerpräsident das Internet-Herz. Ja, wirklich! Aber Roland Koch, als brutalstmöglicher Aufklärer gewisser dunkler finanzieller Vorfälle in die Geschichte dieser Republik eingegangen, lässt sich nicht etwa in die Geheimnisse der Router des DE-CIX einweihen – ob er davon etwas verstünde, sei eh dahingestellt. Wovon er etwas zu verstehen meint, das sind aber Finanzen – auf die eine oder andere Art. So schlägt für Koch das Internet-Herz also nicht etwa in den zentralen Backbone-Routern, sondern bei der Risikokapitalgesellschaft IVC Venture Capital AG, bekannt angeblich als Initiator von VentureLab und finanzieller Förderer solcher Berühmtheiten wie snacker.de, ProfessionalPark und Yopass.de. "Dass Frankfurt mehr als nur ein Bankenviertel zu bieten hat, das wissen mittlerweile auch die deutschen Politiker", meint die PR-Agentur zum Besuch Kochs bei VentureLab. Wir hingegen wissen, dass die deutschen Politiker wissen, dass nicht nur Frankfurt ein Bankenviertel hat. Aber vielleicht können die Kapitalgeber der New Economy dem hessischen Ministerpräsidenten ja verraten, wie man zukünftig schwarze Kassen besser versteckt. (Hal Faber) / (jk)