Interview: "Let’s rock education" — Daniel Jung krempelt das Lernen um mit KI

"Du brauchst die Menschen", sagt Daniel Jung. Der Mathe-Youtuber will eine Bildungsrevolution starten: Seine Videos dienten zum Training der KI-Plattform AIEDN.

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Let's rock education: Deutschlands bekanntester Mathe-Youtuber Daniel Jung im Interview

Ausschnitt aus dem Buchcover "Let's rock education". Foto mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Droemer-Knaur

(Bild: Droemer-Knaur / Bearbeitung Silke Hahn)

Lesezeit: 67 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Seine Mathevideos haben Millionen das Abitur gerettet. Deutschlands bekanntester Mathehelfer Daniel Jung beschäftigt sich aber auch seit Langem schon mit maschinellem Lernen und KI, und er hat eine Mission: eine Schulrevolution starten, um Schülern wie Lehrern mehr Freiräume zu verschaffen. Ihm geht es nicht darum, die nächste geschlossene Schulsoftware zu bauen, die einen Zehner Eintritt im Monat kostet – eine nationale Bildungsplattform muss her.

Interviewgast Daniel Jung

Daniel Jung ist begeistert von Bildung, insbesondere von Mathematik. Geboren 1981 in Remscheid haben das Drei-Städte-Eck und NRW seinen Werdegang geprägt. Während des Mathe- und Sportstudiums gründete Jung neben der Tätigkeit als Nachhilfe- und Tennislehrer sein erstes Unternehmen. Als er für Klausuren lernte, stieß er auf YouTube-Videos US-amerikanischer Professoren, die ihre gesprochenen Vorlesungen der Allgemeinheit frei zur Verfügung stellten. Mit diesen Onlinevideos lernte er deutlich leichter als mit den Präsenzvorlesungen seiner Mathedozenten. So kam Jung auf die Idee, das Konzept auf Deutsch auszuprobieren. Mit seiner Nugget-Learning-Methode konnte er einen Schmerz lösen, den viele Lernende empfinden. Mittlerweile erreicht er über seine Social-Media-Kanäle Millionen von Menschen und macht komplizierte mathematische Themen allen verständlich.

Der Mann am Whiteboard setzt sich ein für Bildungsgerechtigkeit und kämpft vor und hinter der Kamera, als Sachbuchautor, in Sozialen Medien sowie in Podcasts für die, die in diesem Land keine Lobby haben: für die Schülerinnen und Schüler, aber auch für Erwachsene, die sich weiterbilden oder Bildung nachholen wollen. Jung erklärt Differenzialgleichungen und Brüche, auch die Mathematik hinter neuronalen Netzen.

Über 3.000 Videos "Mathe by Daniel Jung" stehen frei zugänglich im Netz. Jung ist nicht nur "der Mathefuzzi", der Prüfungen rettet. Mit unserem Bildungssystem hat er sich eingehend auseinandergesetzt und rief schon vor vier Jahren dazu auf, sich auf die Transformation des Lernens durch KI gefasst zu machen. Dazu teilt er spannende Einsichten.

Zugleich sagt Jung: "Du brauchst die Menschen." Hätte er unermesslich viel Geld, würde er sofort Lehrer für alle Schulen einstellen. KI betrachtet er als Beschleuniger für nachhaltiges Lernen. Mit einer in Deutschland trainierten KI-Assistenz und der hier aufgebauten KI-Bildungsplattform AIEDN (AI in Education) will er die Bildung transformieren.

Im Gespräch mit Technik-Redakteurin Silke Hahn war die Begeisterung spürbar, die den Verfechter neuer Lernmethoden antreibt. Jung setzt sich für den freien Zugang zu Bildung ein und ist bereit, selbst voll ins Risiko zu gehen – in der Hoffnung, dass Deutschland mitzieht und Investoren bald einsteigen.

Für Heise sprachen wir über seine Fanwall, Bildungsgerechtigkeit, Mitstreiter, die Magie von Videos und Fokus sowie Alternativen zu TikTok und YouTube. Wie Schule und Bildung sich durch KI verändern und welche Herausforderungen das mit sich bringt, darüber hat Daniel Jung intensiv nachgedacht und praktische Vorschläge auf Lager. Die kommenden zwölf Monate werden für Deutschland – auch für sein Projekt AIEDN – entscheidend, meint unser Interviewgast. Im KI-Bildungsbereich könnte Deutschland sogar neue Standards setzen.

Daniel Jungs Gedanken dazu möchten wir im exklusiven Interview ausführlich teilen.

Silke Hahn: Hi Daniel! Was ist das denn für ein Regal hinter dir, deine gesammelten Werke?

Daniel Jung: Meine Fan-Wall. Ich bin ja schon ein bisschen unterwegs seit knapp 20 Jahren.

Wann hast du mit den Mathe-Erklärvideos angefangen?

2011 habe ich das erste hochgeladen. Über 3000 sind es mittlerweile. Da hat sich einiges angehäuft an Projekten in der letzten Dekade. Und da steckt ein bisschen Arbeit drin.

Kann ich mir vorstellen. Wie machst du das, wenn du so ein Video machst?

Ich habe eine Historie aus den 2000ern. Parallel zum Studium habe ich mich damals selbstständig gemacht mit einer analogen, klassischen Nachhilfeform, wobei ich Einzelunterricht gegeben habe für Schüler und Studenten. Deshalb hatte ich viel didaktisches Wissen konzeptionell bereits im Kopf. Den analogen Unterricht habe ich schon damals so aufgebaut, dass ich identifizierte, wo eine Lücke ist. Die Wissenslücken habe ich in kleinen Erklärungen an der Tafel geschlossen.

Wenn du diese Portion rausnimmst, hast du die ja so grob schon im Kopf. Je tiefer es in die Materie geht... Ich sag jetzt mal Differenzialgleichungen, das ist eher ein Thema im Studium. Da musst du natürlich in der Vorarbeit auch gucken: Was nimmst du, wie ist die Abfolge der Videos, darin liegt ein bisschen mehr Vorbereitung. Aber wenn du mir sagst: "Stochastik, Oberstufe, Hypothesentest", dann gehe ich an die Tafel und drehe dir zehn Fünf-Minuten-Videos aus dem Stand.

Also bereitest du dich je nach Anlass gezielt vor?

Ja, ich muss mich vorbereiten, bis heute noch, wenn ich bei Projekten Videos drehe. Das ist ein Mix aus Erfahrung, Rückmeldung, Feedback: Es gibt Themen, die kann ich auch aus dem Stand produzieren. Die höchste Kunst sind Beweise in der Mathematik. Für manche ist es ja eine Kunst, was du im Kopf hast, in Videoform zu präsentieren. Manche Content Creator produzieren hochwertig animierte Videos. Das braucht zum Teil Wochen in der Vorbereitung und in der Produktion.

Die Übung kam bei mir mit der Praxis. Die ersten Videos waren noch experimentell: Wie performst du vor einer Kamera.

Einen eigenen Stil hattest du schon in den frühen Videos, meine ich?

Mein didaktisches Konzept der Video-Nuggets war eine Zeit lang verpönt bei Didakten als Druckbetanken und Auswendiglernen. Wenn man sich neurowissenschaftlich damit beschäftigt, ist der optimale Weg in einer Wissensreise: Wenn eine Lücke da ist, diese zu schließen, um wirklich zum Verständnis zu kommen. Perfekt ist das natürlich auch nicht.

Was hat dich inspiriert?

Inspiriert war ich von den USA, von MIT und Stanford. Und es gab ja auch Telekolleg, das wirst du vielleicht auch noch kennen.

Das "Lernsehen"? Nicht aktiv. Einmal musste ich den Mathestoff der 11. Klasse in kurzer Zeit nachholen, "Mathe by Daniel Jung" gab es da noch nicht. Zum Glück stand mir ein Mathestudent beiseite. Deine Nuggets: War das nicht sofort ein durchschlagender Erfolg?

Das war für Deutschland einfach zu früh, 2011 die Video-Nugget-Learning-Methode.

Seit wann beschäftigst du dich mit maschinellem Lernen?

2019 habe ich mein erstes Sachbuch geschrieben, Let’s rock education [Anm. Red.: erschienen 2020]. Darin habe ich all die Grafiken, die du jetzt siehst, zu KI, maschinellem Lernen, neuronalen Netze und zur Lernpyramide schon beschrieben. Vor vier Jahren habe ich über neuronale Netze gesprochen und gesagt, bereitet euch darauf vor. Wie könnt ihr das in der Schule so einsetzen, dass ihr erklärt, was ein neuronales Netz ist, wo Mathematik auf Informatik, auf Biologie trifft. Und ich habe jetzt erst verstanden, dass das Buch ebenfalls zu früh herausgekommen ist.

Es ist im März 2020 rausgekommen, pünktlich zu Corona. Das war vielleicht ein Schock. Der Rest hat, glaube ich, "Mathe by Daniel Jung" erwartet: Der macht jetzt mal Mathe – und nicht, wie man sich allgemein mit KI, dem Begriff künstliche Intelligenz beschäftigen sollte, was maschinelles Lernen, was Deep Learning ist, was es sonst noch gibt, was Algorithmen sind, und was das für Auswirkungen hat. Um all das geht es in meinem Buch.