Interview: "Let’s rock education" — Daniel Jung krempelt das Lernen um mit KI

Seite 2: KI-Dilemma und Vierte Industrielle Revolution

Inhaltsverzeichnis

Ich muss gestehen, vom Titel her hätte ich es eher für ein Sachbuch über Schule gehalten…

Das Buch ist nicht nur für Lehrer geschrieben, sondern auch für CEOs. Im dritten Kapitel spreche ich über die Vierte Industrielle Revolution, die ganz vieles verändert und die wir gerade erleben. Wir müssen grundsätzlich das Lernen neu denken: Welche Lerntechniken gibt es? Wie sieht das neue Lern-Ökosystem aus? Was tut sich international?

Ich war jetzt auf dem Lehramtsfestival. Denen, die ins Lehramt gehen, habe ich gesagt, guckt euch, nachdem ihr Social Dilemma hoffentlich geguckt habt, jetzt AI-Dilemma auf YouTube an. Eine Stunde Tristan Harris auf der Bühne mit jemand anders, und ganz sachlich wird erklärt, was gerade der Stand ist bei KI und dass es gar nicht um das Large Language Model geht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wo stehen wir aus deiner Sicht?

Wir sind jetzt in einer Phase, wo es echt in die Hose gehen kann zum Thema Manipulation, wo ich einfach nicht mehr weiß, was real ist und was nicht. Was bedeutet das etwa für die nächste US-Election? Wie ich das navigieren kann, das sollte in der Schule diskutiert werden. Wenn ich jetzt wieder die Augen nur auf ChatGPT richte, dann frag die mal: Wisst ihr denn, wo Transformer-Modelle herkommen? Ist dat nicht interessant, darüber zu sprechen, dass Google das erste Paper über Transformer geschrieben hat, dass darauf erst überhaupt ChatGPT möglich war?

Jetzt ist das Thema angesagt und cool, alle durften mit KI schon herumspielen, und jetzt sehe ich auch immer mehr Beiträge auf LinkedIn zu ChatGPT und Bildung.

Was löst das bei dir aus?

Für die anderen ist es ja so neu, aber auch hier müssten wir mal wieder einen Schritt zurückschalten. Guckt euch bitte erstmal "AI Dilemma" an auf YouTube, da wird euch das erklärt, was gerade passiert. Deshalb verstehen auch viele noch nicht, was das AI bei "AI in Education" heißt, etwa in meinem neuen Projekt AIEDN. Für mich ist es eine Unterstützung, und das war ja bei YouTube damals zunächst auch nicht klar, welche Kraft Erklärvideos in Nugget-Form auf einer Plattform bereitgestellt haben.

Zu deinen Erklärvideos: Wie bist du auf das Format gekommen?

Ich war inspiriert von MIT und Stanford, die ihre Vorlesungen verfilmt haben. Und ich habe mir dann halt gesagt, das ist ja schon mal nicht schlecht, dass du jetzt durch YouTube und Co. die Chance hast, hochdekorierte Professoren anzuschauen. In der Geschichte der Menschheit, wann war das möglich? Kostenlos. Und kostenlos würdest du, wenn du das jetzt auf Twitter postest, wieder auch sagen, "Du verramschst ja deine Daten, wenn du YouTube konsumierst". Okay, das sei dahingestellt. Aber das Konzept fand ich faszinierend.

Hast du das als Kritik schon zu hören bekommen?

In dem Moment, wo du dort Videos schaust, weiß Google, wer schaut, wann, warum und kann dir dann entsprechend Werbung zuspielen. Das ist eine vollkommen berechtigte Kritik. Aber dann wäre es schön, wenn stattdessen die Regierung mir Geld zahlt. Tut sie nicht. Lehrer bekommen Geld, Content-Creator nicht. Google gibt uns Geld. Ich weiß wohl, dass es optimaler wäre, wenn es eine Plattform gäbe. Das ist ja das Ziel von AI in Education.

Eure KI-Bildungsplattform AIEDN, auf die kommen wir gleich zu sprechen. Lass uns noch kurz beim Thema Daten bleiben. Du bist ja nicht nur bei YouTube aktiv…

Ja, ich war früher ehrenamtlich bei Events, wo es zum Beispiel um Jugendschutz im Internet ging. Da kam ich manchmal schwer aus Gesprächen raus. Manche Leute fanden, es sei unverantwortlich, dass ich TikTok nutze und auf Mathefragen.de, meiner langjährigen Plattform, Google Analytics schalte. Es gebe doch so viel Open Source in Deutschland. Das sind die Neider, Nörgler und Bewahrer. Davon gibt es viele da draußen, das kennst du ja. Wir können uns dem nicht verschließen. Ich will ja der Good Guy sein! Kollegen geht es teils ähnlich.

Ich habe gehört, dass ihr mit deinen Videos ein KI-Modell trainiert habt?

Ja. Und das KI-Projekt wollen wir bewusst aus Deutschland heraus machen. Ich hatte im Jahr 2011/12 zeitgleich zum Hochladen bei YouTube schon eine E-Learning-Plattform, videobasiert, mit Frage-Antwort-Interaktionen für Schulen und Unis parat. Es wollte aber keiner Geld dafür ausgeben, weil alle gesagt haben, Videolernen wird sich nie durchsetzen. Das musste ich einstampfen, weil es viel Geld verbrannt hat. Kannst du dir sicher vorstellen, 2011, zu den Serverkosten in Deutschland gehostet. Internet, Digitalisierung eingebaut, die Developerkosten waren unendlich hoch. YouTube habe ich dann weitergemacht, es gab ja keine anderen Videoplattformen, die viele schnell erreicht haben. Und das habe ich parallel zu meinem Tun und Sein gemacht.

Was war dein Tun und Sein?

Das war der Übergang von klassisch-analoger Nachhilfe vor Ort, mein Studium habe ich dann abgebrochen, und die Frage stand im Raum: Was machst du jetzt?

Oh! Wieso abgebrochen?

Es gab nicht den einen Tag, das war ein schleichender Prozess. Ich war ja schon Unternehmer. Der Bildungsentrepreneur fühlte sich freier in der Gestaltung und Umsetzung als im Inneren des Systems. Es muss nicht jeder abbrechen, es wird weiterhin Abschlüsse geben. Ich bin halt der Risikomensch, ich muss bauen, gestalten, unternehmerisch tätig sein.

Auf YouTube gab es auch keine Kooperation oder Brand, 2011 bis 2014 war nichts mit Influencing wie heute. Ich habe mich mit Beratung über Wasser gehalten.

In welchem Bereich?

Verrückte Geschichten, etwa Firmen beraten, wie man mit Instagram tolle Inhalte baut. Ein Bewusstsein dafür schaffen, dass du da draußen wahrgenommen wirst und mit der nächsten Generation in Kontakt treten kannst über neue Medien-Funnels: Marketing 2.1. Im Laufe der Zeit kamen Übernahmeangebote. 2014/15 war ich für einen Nachhilfekonzern tätig, der Vor-Ort-Nachhilfe macht. Und wie du gerade sagtest, du hattest mal für Mathe einen persönlichen Coach neben dir. Aber manche haben schon gesehen, dass Digital Coaching auch Möglichkeiten bietet.

Manche Anbieter wollten mich vom Markt kaufen, damit mein Unterricht nicht mehr kostenlos auf YouTube steht. Das habe ich dann abgelehnt. So habe ich mein erstes Startup-Investment gemacht – in die Firma, die auch die Hefte von mir vertreibt. Es gibt ja Hefte von mir: Mathe-Hefte, die mit QR-Codes zu meinen Videos führen, als hybride Lösung. Das mag man jetzt nicht als Weltrevolution erachten, aber das ist ein gesundes Unternehmen, Verlag 2.1.

Wo die eine Tür zuging, ging die andere auf. Bei einem Studenten-Startup aus Paderborn bin ich eingestiegen, wir haben klassisch mit Vor-Ort-Kursen angefangen. Daraus hat sich ein Verlag entwickelt, kombiniert mit Videos. Das gibt dir als Schüler Führung beim Selbstlernen. Wenn das Video allein nicht hilft, gibt es noch haptisch die Hefte. Das ist nicht skalierbar in ein Milliardenunternehmen.

Von meinen Nichten und Neffen sind einige im schulpflichtigen Alter. Ich weiß, wie papiergetrieben die deutschen Schulen nach wie vor ticken.

Du sagst es.

Man kann froh sein über jeden digitalen Wissens-Nugget. Das haben wir in der Coronazeit gesehen. Zwei der Kinder sind jetzt auf einer Tablet-Schule, wo sie den gesunden Umgang mit diesen Geräten lernen.

Gesunder Umgang, gutes Wort.

Du hast TikTok erwähnt. TikTok hat ja diesen Algorithmus, der dazu führt, dass Leute mehr von dem, was sie interessiert, immer wieder gezeigt bekommen, was einen Suchtcharakter entwickeln kann, gerade bei jungen Menschen. Besser süchtig nach Mathe als nach anderem Kram, denke ich. Wie stehst du dazu, stehst du zu TikTok?

Stehe ich dazu, auf TikTok zu sein? Das ist ein schmaler Grat. Ich stehe dazu, möglichst viele Menschen zu erreichen, damit sie Mathe verstehen. Wenn die Leute auf TikTok sind, erreiche ich sie dort. Stehe ich mit einem Fähnchen da und protestiere oder gehe ich rein? Ich stehe zu einem Zugang zu moderner Bildung.

Um das aufzugreifen, deshalb bin ich ja überall vertreten, auf LinkedIn, TikTok, Twitter, Instagram, vornehmlich mit Basismathe-Inhalte. Gerade auf LinkedIn erzähle ich aber über meine Reise digitales Lernen und Lehren. Man kennt mich als "Mathe by Daniel Jung", das ist, wo auf jeder Konferenz alle sagen, "Danke, du hast mich durchs Abi gebracht, du hast mir mein Studium ermöglicht, und das kostenlos mit den Videos."

Das nächste Brand ist: "Wow, der ist transformativ im Bereich Bildung unterwegs". Ich habe jetzt mit dem IT-Systemhaus Bechtle einen großen Kooperationsdeal an Land gezogen, mit dem wir Schulen von links nach rechts drehen.

Das, was du gerade gesagt hast zu den Tabletschulen und gesundem Umgang mit der Technik ist eben nicht gang und gäbe. Eigentlich müssten wir jede Schule neu ausstatten. Nicht, damit jeder mit Tablet arbeitet, sondern sie muss so ausgestattet sein, dass die Lehrkraft morgens nicht überlegen muss, dreht sich das Rädchen, passt der Login nicht, wen muss ich alle anrufen, dann lasse ich das lieber und gehe an die Kreidetafel. Wenn ich Bock habe, mit dem Tablet zu arbeiten, muss der Login funktionieren, die Freigabe, ich möchte mich nur um den Unterricht kümmern und damit kuratiert experimentieren. Ich sage mal, das ist meine Daniel-Jung-Media-GmbH-Geschichte.

Wann kommt deine eigene Plattform?

Die ist mit Mathefragen.de schon da. Ein Spin-off, der nicht unter Media GmbH läuft. Jetzt kommt AIEDN. Mein Asset sind meine Videos, und meine Plattform ist Mathefragen.de. Die Prise Salz ist die KI. Das wird jetzt mein zweites Standbein.

Worum geht es bei eurer Plattform AIEDN?

Ich habe immer überlegt, wie können wir aus Deutschland heraus eine digitale Umgebung schaffen, die optimierter ist. Ich habe die eigene Plattform probiert mit den Videos, das wollte Deutschland damals nicht. Ok. YouTube ist weitergegangen, TikTok und Co. kamen dazu. Ist auch alles schön, die Leute damit abzuholen, aber es ist ja keine in dem Sinne vernünftige, nachhaltige Lernumgebung, die einen Algorithmus ermöglicht, der dich in den positiven Strom des reinen Lernens bringt. Deshalb habe ich vor etwa vier Jahren mathefragen.de als Plattform selbst entwickelt. Es war ein Developer mit dabei, ich habe ein kleines Team gestartet, es ist wirklich from Scratch gecodet, in Python. Das ist eine Eigenentwicklung als Austausch für direkte Fragen mit Menschen, die dich auch über ein Video hinaus identifizieren. Hey, das hat noch gefehlt, so ist das gestartet. Deshalb sieht es auch so aus wie Reddit, Mathefragen.de ist einfach nur Q&A.

Mathefragen.de haben viele nicht genau gesehen, da stecken ein paar hunderttausend Euro drin. Entwicklerkosten, Hosting über vier Jahre, und alle sagen, ja, ein tolles Forum hast du da gebaut. Da sind Mechaniken dahinter, mit Red-Flag-System, Detection von Nacktbildern und so weiter. Diese Plattform nutzen wir auch jetzt noch, bevor der Merge kommt. AIEDN wird mein Nuceleus an Tech-Plattform. KI-Education-Technology mit Open-Source-Arm und auf Dauer ein Business-Modell für Firmen. 2017 mit der ersten Videoplattform war ich für Deutschland um Trilliarden Jahre zu früh. Wir haben da jetzt noch einen Vorsprung, der aber nicht ewig hält.